zurück  

 
Inge Hannemann gegen Ralph Boes:


Inge Hannemann am 31.07.2015 in Facebook:

"Ich wurde gefragt, ob ich das neueste „Sanktionshungern“ von Ralph Boes unterstütze, oder warum ich es nicht tue.

Meine Gründe:

Zunächst halte ich dieses erneute „Sanktionshungern“ für den falschen politischen Weg. Hartz IV oder hier speziell die derzeitige unsägliche Sanktionspraxis sehe ich als einen gesamtpolitischen Skandal an, welches auch in diesem Duktus „angegangen“ werden sollte. Es kann nur durch eine Gesetzesänderung erfolgen. Dazu bedarf es eines Widerstandes unter Berücksichtigung und Differenzierung aller Seiten sowie die Verknüpfung der tatsächlichen internen Abläufe und nicht nach Vermutungen.

Ich bin nicht der Meinung, dass die alleinige „Schuld“ nur bei den Mitarbeitern in den Jobcentern liegt. Die Agenda 2010 ist ein neoliberales Konstrukt, welches die Lobbyisten und den Niedriglohnsektor stärkt und für diese eingeführt und ausgebaut wurde / wird. Zwar sind die Ausführenden durchaus die Jobcenter; jedoch nur die Mitarbeiter an den Pranger zu stellen, ist für mich ein Schwarz-Weiß-Denken. Dieses führt die Gewaltspirale an und unterstütze ich nicht. Vielmehr frage ich mich, ob die Menschenwürde in diesem Fall nicht für alle gilt? Für mich bedeutet Menschenwürde und Pazifismus: Es gilt für alle. Aber genauso gilt auch für die Mitarbeiter in den Jobcenter und den Gerichten: Jeder ist für sein Handeln selbst verantwortlich. Keiner muss tatsächlich sanktionieren, wenn er oder sie sich die Zeit nehmen würde die tatsächlichen Gründe für eine Verweigerung zu sehen und vor allem anzuerkennen. Dazu bedarf es ein Umdenken und sich von der internen Propaganda zu lösen, Zahlen zu ignorieren und Mensch sein!

Weiterhin unterstütze ich nichts, wo Menschen zu Tode kommen oder diesen in Kauf nehmen. Nun mag man sagen: „Die Jobcenter töten.“ Es ist ein Skandal, dass den Menschen, die nicht parieren, alles genommen werden kann und wird. Und das verurteile ich ebenso. Ich verurteile aber auch, wenn Gewaltkommentare gegen Mitarbeiter oder Jobcenter stillschweigend hingenommen werden oder gar unterstützt werden. Gewalt ist nie eine Lösung und für mich ein Ausdruck der Verzweiflung.

Widerstand heißt für mich: Ausdauer, Hartnäckigkeit, Strategie, Neues, Positives, Differenzierung und im Leben stehen. Widerstand kann nur geleistet werden, wenn man lebt! Daraus folgt die politische Problemanalyse, daraus das Handeln und das Aufzeigen von Wegen aus der Situation. Ein Aufschrei in Form von Kommentaren auf Facebook reicht nicht aus. Vielmehr ist es für mich das emotionale Motiv zum Widerstand.

Was haben wir bisher erreicht?

Zum ersten Mal seit zehn Jahren wird so viel wie noch nie über die Sanktionspraxis diskutiert: politisch, verbandsorientiert, innerhalb der Jobcenter und Arbeitsagenturen und auch die BA gibt es intern zu. Das hat nur funktioniert, weil viele Menschen, ob betroffen oder nicht, ihren eigenen Widerstand leisten – sei er laut oder leise. Es hat dann nicht funktioniert, wenn undifferenziert oder mit Gewalt drauf eingedroschen wurde. Wissenschaftler, Aktivisten, Verbände und z.T. Betroffene werden angehört und gehört. Eine Mauer des Schweigens der internen Abläufe wurde durchbrochen.

Ich denke, wir sind uns einig, wenn ich sage: Hartz IV muss weg! Und neue Alternativen geschaffen werden müssen. So geschaffen, dass die Menschen keine Angst vor dem Verhungern oder einem Wohnungsverlust haben müssen. Keine Angst vor einer Stigmatisierung mit all seinen Folgen. Und keine Angst vor einer Behörde: Sei es das Jobcenter, Arbeitsagentur oder dem Grundsicherungsamt.

Es wird Zeit, aus der Rolle Opfer oder und Täter auszubrechen und differenziert aufzuklären.

Dennoch bin ich, was die Ziele angeht, solidarisch - Gemeinsam sind wir stark!"

Aus den Kommentaren:

  • Liebe Inge, danke für deine Antwort auf dieses Thema. Unklar ist mir, inwiefern die Aktion von Ralph die Würde der Mitarbeiter/innen ausschließt. Im Gegenteil. Der friedliche Widerstand ist permanent unser oberstes Gebot und das Gespräch mit den Mitarbietern/innen des Jobcenters zu suchen ebenso. Es geht allein um die Systemfrage und ich kann kein simples schwarz-weiß Denken bei Ralph erkennen. Schon gar keinen Aufruf zu Gewalt!
    Ganz drängend ist aber die Frage: welche Alternative hat Ralph jetzt eigentlich?! Mir ist noch keine eingefallen, nachdem ich die Aktion auch lange kritisiert hatte.
    @ Anja Gaertner Ob die Aktion von einem Einzelnen etwas bewirkt oder nicht, hängt am Ende auch von der Solidarität der anderen ab.
    Ich sehe - so Kritikwürdig die Aktion auch ist!- darin dennoch eine Chance und bedauere sehr, dass viele diese nicht ergreifen.
    • Inge Hannemann
      Liebe
      Diana Aman Die Würde wird dann ausgeschlossen, sobald man anfängt, alle über einen Kamm zu scheren und den einzelnen Mitarbeiter für den eigenen Tod verantwortlich macht. Hiermit wird nicht mehr das System in Frage gestellt, sondern der Einzelne
      an den Pranger gestellt. Genauso verhält es sich leider, auch in den Medien, wenn vom "faulen Hartzer" gesprochen wird. Das ist ebenso nicht hinzunehmen. Welche Alternativen hat Ralph? Er könnte seine Bekanntheit mit Vorträgen ausfüllen und aufklären. Er könnte seine Erfahrungen an die Menschen bringen, die meinen, es wird sie nicht betreffen. Wir müssen dort aufklären, wo sich die Menschen sicher fühlen. Das ist die noch sog. Mittelschicht. Aus eigener Erfahrung weiß ich, es funktioniert. Ralph müsste sich weiterhin endlich mal aus der Szene der Verschwörungstheoretiker und der damit z.T. verbundenen Querfront distanzieren, um wirklich ernst genommen zu werden. Ernst genommen zu werden von Außen, nicht im seinem Klientel. Ich sage damit nicht, dass Ralph ein Querfrontler ist, aber zu naiv und insbesondere sorglos damit umgeht. Ralph könnte sich politisch engagieren, so wie es viele Tausende tun und per Infostand, Beistand usw. informieren. Es ist vllt. der stille Widerstand, der jedoch durchaus effektiv sein kann und auch in den Jobcentern stückweise zum Umdenken anregt. Und bei den Menschen, die meinen, Hartz IV ist ein System, was einem Sozialstaat würdig ist. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich nicht. Mit Sicherheit nicht, dafür ist die Thematik zu komplex.

 
Wann und ob ich mich dazu äußern werde, weiß ich noch nicht.