Anlage 1
Auszüge aus einer Berufungsschrift
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S. Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 4, Abs. 7
Hier ist Folgendes einzuwenden:
Bei dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums handelt es sich um ein verfassungsunmittelbares Leistungsrecht, welches "dem Grunde nach unverfügbar" ist und eingelöst werden "muss". Vgl. BVerfG, 1 BvL 1/09 v. 09.02.2010, Abs.-Nr. 133 Der Gesetzgeber hat laut BVerfG den Auftrag "jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern". Dabei ist dem Gesetzgeber aber ein "Gestaltungsspielraum" zugemessen. Der vom BVerfG. dem Gesetzgeber zugemessene "Gestaltungsspielraum" bezieht sich allerdings ausschließlich auf den konkreten Umfang, die Höhe des Leistungsanspruches, der sich nach dem jeweilige Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Vgl. BVerfG, 1 BvL 1/09 v. 09.02.2010, Leitsatz 2
Die Kopplung der Leistungsgewährung an ein
bestimmtes Verhalten des
Betroffenen ist damit nicht (!) umfasst. "Das Grundgesetz gebietet nicht die Gewährleistung von bedarfsunabhängigen voraussetzungslosen Sozialleistungen" s.: Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 4, Abs. 8 wird in dieser Hinsicht falsch interpretiert. Unterstellt wird beim Ausschluss von "voraussetzungslosen" Sozialleistungen, dass hier im Sinne von SGB II auch ein "Wohlverhalten" eingefordert werden kann - und es wird damit die Sanktions- und Erziehungspraxis der Jobcenter legitimiert.
"Die Verfassung gebietet nicht die Gewährleistung von bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen. Der Gesetzgeber hat vielmehr einen weiten Spielraum, wenn er Regelungen darüber trifft, ob und in welchem Umfang bei Gewährung von Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, sonstige Einkommen des Empfängers auf den individuellen Bedarf angerechnet wird." S.: BVerfG, 1 BvR 2556/09, Randnr. 13
Der Satz entstammt der Antwort des BVerfG
auf eine Verfassungsbeschwerde gegen die Aufrechnung von Bafög-Leistungen
auf Hartz IV und zielt in keiner
Weise auf ein zu erbringendes Wohlverhalten des Bedürftigen ab. Er bezieht
sich ausschließlich auf die
Frage, ob nicht andere Einkommensquellen des Bedürftigen ebenfalls
beizuziehen sind. Während die Kammer im Eingang der Begründung "Das Grundgesetz gebietet nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraus-setzungsloser Sozialleistungen" s.: Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 4, Abs. 8 noch auf das BVerfG verweisen kann, kann sie in Teil 2 ihrer Begründung: "Auf der anderen Seite muss eine Person, die mit dem Geld der Steuerzahler unterstützt wird (…) alles unternehmen, um ihren Lebensunterhalt wieder selbst zu verdienen" s.: Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 5, Abs. 1 mit dem sie das Sanktionsregime rechtfertigt, eben NICHT auf das BVerfG verweisen. Sie verweist statt dessen auf zwei Sozialgerichtsurteile aus der neueren Zeit, die ihrerseits auf nichts als auf die §§ 31 ff SGB II verweisen.
In dem von mir beigelegten Gutachten (Teil B der Klage) wird die offene Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der §§ 31 ff SGB II in aller möglichen Breite und Tiefe behandelt und zwar so, dass in einem erstaunlichen Ausmaß gerade auf die Urteile des BVerfG in dieser Beziehung eingegangen wird. Ein Abblocken der Auseinandersetzung mit dieser Frage, indem einfach auf beliebige Urteile anderer Sozialgerichte oder auf das SGB II selbst hingewiesen wird, wird dem in meiner Klage gestellten Anspruch keineswegs gerecht: Man begründet die herrschenden Denkgewohnheiten mit genau den Normen, die durch meine Klage in Frage gestellt sind.
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Dieser oberflächliche Umgang findet in allen weiteren Argumentationen der Kammer ihre Fortsetzung, auch in ihrer Argumentation zur Verfassungsmäßigkeit der Sanktionspara-graphen bezüglich Art. 12 GG (Freie Berufswahl, Verbot von Zwangsarbeit).
Während die Kammer äußerst schmallippig schreibt: "Gemäß Art 12 Abs. 2 und 3 GG sind Arbeitszwang und Zwangsarbeit verboten. Als Arbeitszwang ist das Gebot anzusehen, eine bestimmte Tätigkeit auszuführen, sofern dies zu einer Beeinträchtigung der Menschenwürde führt oder führen könnte (vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 13. Auf!. 2014, Art. 12 GG, Rdnr. 115 mwN). Es wird zwar durch die Sanktionierungsmöglichkeit bei unterlassenen Bewerbungsbemühungen ein mittelbarer Zwang auf den Leistungsberechtigten ausgeübt, sich zu bewerben, da sonst finanzielle Nachteile drohen. Damit ist jedoch kein Gebot verbunden, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben" s.: Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 5, Abs. 4
schreibt das Gutachten: "Art. 12 Abs. 1 GG konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG und zielt auf eine möglichst freie und unreglementierte berufliche Betätigung. Vgl. BVerfG. 103, 172 (183). Art. 12 Abs. 1 GG umfasst dabei sowohl die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit als auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Dabei ist auch die negative Berufsfreiheit vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfasst. Das bedeutet, es steht jedem Grundrechtsträger frei, eine bestimmte Arbeit nicht zu ergreifen. Es liegt in der Entscheidungsgewalt des Einzelnen, für sich zu entscheiden, einer bestimmten beruflichen Tätigkeit nicht nachzugehen. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet dies als "die notwendige Kehrseite der positiven Freiheitverbürgung, bezogen auf das Ziel, einen Lebensbereich von staatlichen Eingriffen und Manipulation freizuhalten". BVerfG. 58, 358 (364). § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II normiert als Pflichtverletzung, wenn eine i. S. d. SGB II zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 d SGB II oder ein gemäß § 16 e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis nicht aufgenommen, nicht fortgeführt oder deren Anbahnung verhindert wird. Diese Pflichtverletzung führt zur Sanktionierung des Leistungsempfängers. Die Sanktionierung, die zur – ihrerseits selbstständig verfassungswidrigen – Kürzung des menschenwürdigen Existenzminimums führt, stellt für den Leistungsberechtigten einen erheblichen Einschnitt dar. Die Drohwirkung, die eine Sanktionierungsmöglichkeit nach §§ 31 ff. SGB II entfaltet, ist geeignet, den freien und selbstbestimmten Entscheidungsprozess zu beeinträchtigen. Es ist naheliegend und vom Gesetzgeber gerade beabsichtigt, dass der Leistungsempfänger eine Beschneidung seiner Mittel vermeiden will. Das führt dazu, dass er de facto genötigt wird, jede i. S. d. Gesetzes zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 d SGB II oder ein gemäß § 16 e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, unabhängig davon, ob dies seinem Willen oder seinem Verständnis von guter bzw. akzeptabler Arbeit entspricht. Die Sanktionsandrohung übt auf den Leistungsberechtigten einen faktischen Zwang aus, der einer imperativen Verpflichtung zur Aufnahme einer nicht gewollten Tätigkeit gleichkommt. Besonders augenscheinlich wird dieser Zwang im Fall einer 100 % Sanktion, wenn eine i. S. d. SGB II zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit nicht genutzt wird. Diese Folgen des § 31a i. V. m. § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II greifen ganz erheblich in die negative Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG ein." Ähnlich Berlit, Handbuch Existenzsicherungsrecht, 2013, Kapitel 23 (Sanktionen), Rn. 15 f.
… und beginnt damit erst die Auseinandersetzung, die sich bezüglich der Frage des sog. "mittelbaren Arbeitszwanges" dann noch über fünf (!) weitere DinA4-Seiten erstreckt. s.: Gutachten, S. 27 ff
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Sehr geehrte Damen und Herren –
auf Grund dieses ungenügenden Umgangs des Sozialgerichtes mit meiner Klage, der sich auf ALLE Gebiete meiner Fragestellung bezieht (ich erspare uns jetzt, den Rest zu schildern), sehe ich es für mehr als berechtigt an, Berufung einzulegen, zumal auch auf Teil A meiner Klage, der auf den mangelhaften Arbeitsbegriff des SGB II hinweist und auf die daraus folgende Diskriminierung meiner Person, die sich in inzwischen zwölf Sanktionen - davon zehn 100-Prozent Sanktionen in Folge – ausgewirkt hat, überhaupt nicht eingegangen wird.
Bevor ich aber zum Ende komme, möchte ich noch auf denjenigen Teil des Gerichtsbescheides hinweisen, der sich wie ein Mantra durch alle meine Prozesse zieht und in dem das tiefste Glaubensbekenntnis der Kammer am deutlichsten zu Tage tritt:
Die Kammer schreibt: "Das Sanktionssystem gemäß § 31 ff. SGB II genügt schon deshalb den Vorgaben von Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber auch bei einer Sanktionierung die "letzte Grundversorgung" sicherstellt." S.: Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 5, Abs. 2
Derartiges kann nur behaupten, wer einen sehr speziellen Blickwinkel einnimmt und sich auch nicht einen Millimeter davon fortbewegt.
Ich sage es einmal im Bilde:
Bekanntlich ist von der Sonne aus besehen die Erde immer ohne Schatten. Selbst die Nachtseite der Erde ist von der Sonne aus nie zu sehen. Wollte jemand der Sonne von Nacht und Schatten auf der Erde erzählen, würde sie sagen: "Die Erde dreht sich unablässig vor mir. Innerhalb von 24 Stunden sehe ich jeden ihrer Winkel. Nacht und Schatten kann ich an ihr nicht finden."
Man müsste ihr einen Spiegel hinhalten, der ihr die Erde von der Seite oder gar von der Rückseite zeigt, um sie von ihrem Urteil zu kurieren.
Desgleichen bei Hartz IV: Hartz IV ist bewusst so gemacht, dass vom Standpunkt einer sehr formalistischen Juristerei der Eindruck der Verfassungsmäßigkeit der Regeln entsteht. Vom jedem anderen Standpunkt sind jedoch gewaltigste Schatten und Abgründe im System zu konstatieren. Weswegen z.B. auch die gesamte Gesellschaft an diesem Gesetz gespalten ist.
Wenn z.B. im Gerichtsbescheid geschrieben ist:
"Das Sanktionssystem gemäß § 31 ff. SGB II genügt schon deshalb den Vorgaben von Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber auch bei einer Sanktionierung die 'letzte Grundversorgung' sicherstellt …"
dann wird aus formal-juristischer Sicht versucht, den Anschein zu erwecken, als wäre die Würde des Menschen geachtet und geschützt. Aus menschlicher Sicht ist ein solcher Satz aber eine Blendung:
- Erstens besteht die "letzte Grundersorgung" aus lauter Kann-Regelungen und stellt deswegen nichts weniger als eine Grundversorgung "sicher", - zweitens ist auch nicht sicher, dass der Betroffene Fähigkeit, Möglichkeit oder auch einfach nur das Wissen hat, die entsprechenden Anträge zu stellen, - drittens müssen die Anträge beim sanktionierenden Mitarbeiter des Jobcenters selbst gestellt werden, was die Wahrscheinlichkeit, dass sie überhaupt gestellt werden, sehr vermindert, - viertens werden die Hilfen meist nur gegeben, wenn man sich trotz bestehender – und unter Umständen auch berechtigter – Widerstände dem System unterwirft.
Was soll da "Sicherstellung einer Grundversorgung" heißen ???
Ein Beispiel dafür gibt z.B. der Text:
"Ferner kann der vollständige Wegfall der Leistungen in eine nur noch 60-prozen-tige Minderung abgemildert werden, wenn sich der Leistungsberechtigte (…) nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen." S.: Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 5, Abs. 2
Es wird hier nicht auf die real vorliegende Bedürftigkeit abgezielt (die bei diesem Satz allerdings zugegeben wird, andernfalls würde die 100-Prozent-Sanktion überhaupt nicht "abgemildert" werden müssen!) – es geht hier nicht um den Schutz der Menschenwürde, sondern vorrangig unter die Unterwerfung unter ein vorgegebenes System. Erst NACH der Unterwerfung kann "geholfen" werden! Womit der eigentliche Wille des Grundgesetzes, den Schutz der Würde an die erste Stelle zu stellen und das System entsprechend dieses Grundsatzes auszubilden, vollständig unterlaufen ist.
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Es gibt aber auch noch ein fundamentales rechts-immanentes Problem, auf das im Gutachten (Teil B der Klage) hingewiesen wird und welches eine verfassungsrechtliche Klärung erfordert.
Das Gutachten skizziert zunächst die Urteilsgrundlagen: "Lassen Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung mehrere Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, muss eine Auslegung vorgenommen werden, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht: vgl. BVerfGE 69, 1 (55); 95, 64 (93). Die verfassungskonforme Auslegung darf sich dabei aber nicht über die gesetzgeberischen Intentionen hinwegsetzen. Sie findet ihre Grenzen dort, wo sie zu dem Wortlaut und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde: vgl. ständige Rspr., insb. BverfGE 99, 341 (358); 101, 312 (329); 101, 397 (408); 119, 247 (274). Gesetzgeberische Grundentscheidungen dürfen nicht angetastet werden. Einem eindeutigen Gesetz darf nicht ein entgegengesetzter Sinn gegeben werden. Es ist nicht Sache der Rechtsprechung, ein Gesetz derart auf eine verfassungsgemäße Fasson zurechtzustutzen, dass der Gesetzgeber es nicht jeder erkennt. Die verfassungskonforme Auslegung darf nicht zu einer verdeckten Normreformation führen … " S.: Gutachten, S.36 ff.
und weist dann darauf hin, dass in solchen Sätzen wie dem oben angegebenen des Gerichtsbescheides "Das Sanktionssystem gemäß § 31 ff. SGB II genügt schon deshalb den Vorgaben von Artikel 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber auch bei einer Sanktionierung die "letzte Grundversorgung" sicherstellt (…)" s.: Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 5, Abs. 2 das in diesem Zusammenhang immer aufkommende "kann" (dies und das kann gegeben werden) gewöhnlich als "muss" ausgelegt wird.
Es schreibt: "Auch in der Rechtsprechung wird diese "Lösung" [das "kann" als "muss" zu interpretieren / RB] zur Anwendung der Sanktionsnormen offenbar vertreten, z. B. indem Sanktionen um 100 % für verfassungswidrig gehalten werden, sofern "der Grundsicherungsträger nicht zugleich ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gewährt". (…) (so SG Berlin vom 19.8.2009 – S 26 AS 5380/09, juris Rn. 29 f., im Anschluss an Landessozialgericht Berlin 10. Senat vom 16.12.2008 – L 10 B 2154/08 AS ER-, Rn. 10); vgl. auch LSG Niedersachsen, Beschluss vom 21.4.2010 – L 13 AS 100/10 B ER, Rn. 7 f.)" S.: Gutachten, S.39 f
Dann führt das Gutachten aber aus: "Eine solche Auffassung, das "kann" im Gesetzestext als "muss" auszulegen, [widerspricht] dem eindeutigen Wortlaut der Norm und überschreitet damit die Grenze zulässiger Auslegung" weil der Gesetzgeber eine Ermessensregelung geradezu beabsichtigt habe! "Nach § 31a Abs. 3 S. 2 SGB II "hat" der Träger in Fällen, in denen minderjährige Kinder im Haushalt des Bedürftigen leben, die Leistungen zu erbringen. Hier wurde der Verwaltung vom Gesetzgeber also in bewusstem Gegensatz zum Vorsatz kein Ermessenspielraum zugestanden. Dem entspricht die Gesetzesbegründung, in der explizit festgehalten wurde, dass die "Erbringung von Sachleistungen an Bedarfsgemeinschaften mit minderjährigen Kindern als Verpflichtung zur Leistungserbringung" (…) auszugestalten sei. (…) Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine zwingende Sachleistungsvergabe eben gerade nicht für die übrigen Haushalte gelten sollte. S.: Gutachten, S. 40
Die Interpretation des "kann" als "muss" auch für alle anderen als die Haushalte mit minderjährigen Kindern ist also unzulässig, weil sie die Intention des Gesetzgebers, die auch dadurch noch unterstrichen wird, dass eine Hilfe nur auf Antrag zu gewähren ist, unterläuft. "Die an dieser Stelle lediglich angedeuteten, teilweise geradezu akrobatischen 'Lösungen' der rechtswissenschaftlichen Literatur zur verfassungskonformen Auslegung der Sanktionsnormen laufen im Ergebnis allesamt auf die Aufrechterhaltung bestimmter notwendiger Leistungen trotz des tatbestandlichen Eingreifens der §§ 31a ff. SGB II hinaus. Sie führen damit zu einer Umgehung des Wortlauts der Norm und laufen der gesetzgeberischen Intention zuwider, die gerade in der engen und ausnahmslosen Verknüpfung der staatlichen Leistungsgewährung mit Pflichten des Hilfebedürftigen liegt und damit bewusst von den individuellen Bedarfen der Sanktionierten abstrahiert." S.: Gutachten, Teil B der Klage, S. 41 (Heraushebungen von mir.)
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So sieht das Problem in juristisch-immanenter Betrachtung aus. Die Juristen trösten ihr Gewissen über den Abgrund der Unmenschlichkeit der Gesetze hinweg, indem sie das "kann" zum "muss" erklären. (S. auch die Behauptung der "Sicherstellung der letzen Grundversorgung" durch die 27. Kammer des SG Berlin.) S.: Gerichtsbescheid, http://goo.gl/kKaDH6, S. 5, Abs. 2. Obwohl im Grunde unzulässig, ergreifen sie dieses Mittel, um den offenbaren Verfassungsbruch zu überblenden.
Sie beruhigen damit aber nur sich selbst. In der wirklichen Welt sehen die Dinge ganz anders aus. Denn in fragloser Erfüllung der SGB-II-Gesetze gehen die Jobcenter einen ganz anderen Weg: In ihrer Welt – und in der Welt des Gesetzgebers – braucht man die Drohung mit der Obdachlosigkeit, der Entwürdigung, der Demütigung, des Sturzes in die Asozialität als Abschreckung, um den sog. "Arbeitslosen" zum Wohlverhalten, zur fraglosen Annahme unsinniger Maßnahmen und zur nicht weniger fraglosen Annahme schlechtester/unpassendster Arbeits- und Lohnverhältnisse usw. zu erziehen. Und bei Menschen, die dem nicht entgehen können, sich dem System nicht unterwerfen oder seine Anforderungen auch nur nicht erfüllen können, betreibt man den Entzug der Lebensgrundlagen und nimmt den Absturz ins Bodenlose stillschweigend in Kauf.
Der Verfassungsbruch darf aber nicht verdeckt, sondern muss zum Thema werden! (…)
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